PROLOG

GELEITWORT

MARKUS ELTGES, MARC WOLFRAM

Deutsch­lands Land­schaf­ten mitten in Europa haben viel­fäl­ti­ge Ge­sich­ter. Zwar sind über 86 % ihrer Fläche keine Sied­lungs- und Ver­kehrs­flä­chen, aber in­zwi­schen sind mehr als ein Drit­tel der Land­schaf­ten Deutsch­lands durch tech­ni­sche In­fra­struk­tur ge­prägt. Sie ver­än­dern sich stän­dig. Dieser Wandel hat viele Ur­sa­chen, his­to­ri­sche wie ge­ge­nwär­ti­ge: die agrar­in­dus­tri­el­le Nut­zung, die an­hal­ten­de Sied­lungs­ex­pan­sion, die Ener­gie­wen­de, den Kli­ma­wan­del, um nur die wich­tig­sten zu nennen. All diese Fak­to­ren ver­än­dern die Struk­tur und das Ge­sicht der Land­schaft. Ihre ge­sell­schaft­li­che Nut­zung stellt in­zwi­schen den Erhalt der na­tür­li­chen Le­bens­grund­la­gen, nicht nur für den Men­schen, zu­neh­mend in­fra­ge.

Dass auch Deutsch­land und Europa von Kli­ma­fol­gen be­trof­fen sind, dies zeigen einmal mehr die Tro­cken­heit der Jahre 2018–2020 und im Juli 2021 die dra­ma­ti­schen Über­flu­tun­gen von Mit­tel­ge­birgs­tä­lern in­fol­ge von Ex­trem­nie­der­schlä­gen, ein Tor­na­do in Tsche­chien oder die außer­ge­wöhn­li­che Hitze in weiten Teilen Ost- und Nord­eu­ro­pas 2021. Gerade des­we­gen ist es auch Aufgabe von Raum­ord­nung und Lan­des­pla­nung und deren wis­sen­schaft­li­cher Fun­die­rung, den Wandel zu un­ter­su­chen, auf Zu­kunfts­fä­hig­keit zu ana­ly­sie­ren und Vor­schlä­ge für Än­de­run­gen, durch­aus nicht nur mo­de­rie­ren­der, son­dern auch grund­le­gen­der Art, zu machen.

Das Bun­des­in­sti­tut für Bau-, Stadt- und Raum­for­schung (BBSR) hat als Ein­rich­tung zur wis­sen­schaft­li­chen Po­li­tik­be­ra­tung – für die Bun­des­re­gie­rung wie auch für die all­ge­mei­ne Öf­fent­lich­keit – die Auf­ga­be, dies grund­le­gend und über lange Zeit­räu­me hinweg zu leis­ten. Dies ge­schieht mit da­ten­ge­stütz­ten Ana­ly­sen, um zu er­fas­sen, wie sich die Stand­ort- und Le­bens­be­din­gun­gen in „Stadt und Land“ ver­än­dern und was sich daraus für die For­de­rung nach und die För­de­rung von gleich­wer­ti­gen Le­bens­ver­hält­nis­sen in Deutsch­land und im Kon­text Eu­ro­pas ergibt. Rund 600 In­di­ka­to­ren er­mög­li­chen räum­li­che und zeit­li­che Ver­glei­che. Ein Schwer­punkt dieser Raum­be­ob­ach­tung ist die Ana­ly­se der Land­nut­zungs­mus­ter und Ver­än­de­run­gen, ge­tra­gen von re­gio­nal­sta­tis­ti­schen und fern­er­kund­lich er­mit­tel­ten In­di­ka­to­ren. Zudem wurde und wird der Land­schafts­wan­del in Deutsch­land im Rahmen von Res­sort­for­schung mit Mo­dell­vor­ha­ben der Raum­ord­nung, wie zu­letzt zur „Re­gio­na­len Land­schafts­ge­stal­tung“ und sa­tel­li­ten­ge­stütz­ten Ana­ly­sen von Land­nut­zungs­än­de­run­gen, un­ter­sucht. Die Dar­stel­lun­gen der Ana­ly­se-Er­geb­nis­se, etwa in Web-An­wen­dun­gen und Raum­ord­nungs­be­rich­ten, nutzen Ta­bel­len und the­ma­ti­sche Karten, aber auch Dar­stel­lun­gen aus der Do­ku­men­tar­fo­to­gra­fie.


Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) in Bonn-Rüngsdorf, Nordrhein-Westfalen / April 2021, Foto: Wenxin Hu

Das Leibniz-In­sti­tut für öko­lo­gi­sche Raum­ent­wick­lung (IÖR) forscht zur nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung und Trans­for­ma­tion von Städ­ten und Re­gio­nen im Kon­text der glo­ba­len human-öko­lo­gi­schen Krise. Es erhebt und un­ter­sucht in diesem Zu­sam­men­hang u. a. auch den Status Quo von Flä­chen­nut­zung, Be­bau­ung und Ve­ge­ta­tion sowie deren Ver­än­de­rungs­ten­den­zen in seinem Mo­ni­tor der Sied­lungs- und Frei­raum­ent­wick­lung (IÖR-Mo­ni­tor). Dieser er­mög­licht durch in­ter­akti­ven In­ter­net­vie­wer, ver­schie­de­ne As­pek­te der Raum­ent­wick­lung Deutsch­lands im räum­li­chen und zeit­lic­hen Ver­gleich zu vi­sua­li­sie­ren. Dies umfasst bei­spiels­wei­se auch Nach­hal­tig­keits­in­di­ka­to­ren wie die Flä­chen­neu­in­an­spruch­nah­me durch Sied­lung und Ver­kehr. Doch der hohe Ab­strak­tions­grad di­gi­ta­ler Dar­stel­lun­gen kann nur sehr be­dingt das ent­spre­chen­de Land­schafts­bild im Auge des Be­trach­ters evo­zie­ren. Genau dies können jedoch neben Sa­tel­li­ten- und Luft­bild­auf­nah­men ins­be­son­de­re do­ku­men­ta­ri­sche Fo­to­gra­fien aus der Schräg­luft­bild­per­spek­ti­ve leis­ten.

So zeigen die Fotos dieses Buches bei­spiel­haft ver­schie­den­ste As­pek­te der Land­schafts­ent­wick­lung in Deutsch­land, u. a. die zu­neh­men­de Tech­ni­sie­rung der Land­schaft durch Funk­mas­ten, Wind­kraft­an­la­gen,So­lar­fel­der und Hoch­span­nungs­tras­sen. Of­fen­sicht­lich ist dies der land­schaft­li­che Preis, der für die Ener­gie­wen­de und die Di­gi­ta­li­sie­rung der Ge­sell­schaft zu zahlen ist. Man wird in Zu­kunft noch mehr Sorge tragen müssen, die Na­tur­res­sour­cen besser zu schüt­zen und die Sied­lungs- und Ver­kehrs­ent­wick­lung nach­hal­ti­ger und scho­nen­der zu ge­stal­ten. Dazu zählt auch, so viel Frei­raum wie mög­lich zu schüt­zen – eine For­de­rung, die von den räum­li­chen Wis­sen­schaf­ten seit eh und je er­ho­ben wird und die in der Öf­fent­lich­keit immer dann eine Re­so­nanz er­fah­ren hat, wenn sich Ka­ta­stro­phen wie die Über­flu­tun­gen 2021 er­eig­nen. Es braucht also mehr ge­mein­schaft­li­che An­stren­gun­gen, um Deutsch­lands Land­schaf­ten als Na­tur­res­sour­ce für den Men­schen und als Le­bens­grund­la­ge für Flora und Fauna zu er­hal­ten.

Das vor­lie­gen­de Buch soll den Dis­kurs über Ver­gan­gen­heit, Ge­gen­wart und Zu­kunft des ge­sell­schaft­li­chen Um­gangs mit un­se­ren räum­li­chen Le­bens­grund­la­gen mit Mit­teln der Do­ku­men­tar­fo­to­gra­fie be­glei­ten sowie durch ana­ly­ti­sche Texte an­re­gen und stüt­zen. Es steht in der Nach­fol­ge des be­reits 2010 in diesem Verlag er­schie­ne­nen Buches Der ge­bän­dig­te Raum.


Beide In­sti­tu­te er­hof­fen sich eine wirk­sa­me Re­zep­tion des Buches und eine an­re­gen­de Dis­kus­sion in und mit der all­ge­mei­nen und fach­li­chen Öf­fent­lich­keit.


Markus Eltges,
Di­rek­tor des Bun­des­in­sti­tuts für Bau-, Stadt- und Raum­for­schung


Marc Wolfram,
Di­rek­tor des Leibniz-In­sti­tuts für Öko­lo­gi­sche Raum­ent­wick­lung


Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden-Südvorstadt, Sachsen / Juli 2021